Wie TV-Journalismus und Video-Marketing zusammenwachsen

Als ich noch als TV-Journalist für Produktionsfirmen unterwegs war, ständig auf der Suche nach interessanten Themen für News, Reportagen und Dokus, galten Imagefilme für Unternehmen als lukratives, aber eher seltenes Nebenprodukt. Budget und Zeitaufwand waren in der Regel höher als bei normalen Fernsehproduktionen. Da konnten auch schon mal Kran, Dolly oder Steadycam zum Einsatz kommen; eine schöne Abwechslung für ambitionierte Kameramänner und -frauen. Die Machart dieser Filme war austauschbar: Ein Unternehmen wurde im besten Licht aufgenommen und die Güte der Produktion mit der Kategorie “Hochglanz” bemessen. Niemand hat nach “Mehrwert” oder “Unterhaltung” gefragt, denn einen Zuschauertest in Form einer Quote brauchten diese Videos nicht zu bestehen. Ja, ja, die guten alten Zeiten.

Der Kampf um gute Geschichten

Seit es im Internet eine Quote gibt, also Abrufzahlen, Likes und Shares, und viele Unternehmen kapiert haben, dass “Hochglanz” dabei nur eine untergeordnete Rolle spielt, ist der Kampf um attraktiven Content ausgebrochen, der die Grenzen zwischen Video-Marketing und TV-Journalismus immer mehr aufweicht. Denn gute Videos mit interessanten Geschichten funktionieren über alle Kanäle, sei es YouTube oder ein TV-Sender. Und ob solche Produktionen von einem Unternehmen oder einer Fernsehredaktion stammen, ist für die Zuschauer unerheblich, zumindest wenn es um Unterhaltung geht.

Content-Marketing vs. Unterhaltungsfernsehen

Der Trend, dass Unternehmen journalistischen Content produzieren und dabei ihre Marke nur im Hintergrund platzieren, wird sich fortsetzen und verstärken. Die ersten Opfer des sogenannten Content-Marketing sind Fachzeitschriften, die darunter leiden, dass Firmen immer häufiger in Eigenregie journalistische Beiträge zum Themenkreis ihrer Produkte publizieren. Bei Videos findet eine ähnliche Entwicklung statt, die vor allem in den Bereichen Lifestyle, Boulevard und Unterhaltung den TV-Journalismus und das Video-Marketing immer mehr zusammenwachsen lässt. Unternehmen produzieren mittlerweile Videos, die auch TV-Magazine liebend gerne in ihr Programm aufnehmen würden. Dass sich die Qualität dieser Videos insgesamt verbessert hat, zeigt das neuste Ranking der am häufigsten geteilten Markenvideos der Firma Unruly. Im Vergleich zu den Vorjahren wird deutlich, dass viele Unternehmen großen Wert auf Storytelling legen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Spitzenreiter des Rankings, eine Produktion des Kosmetikherstellers Dove. Hier geht es auf beeindruckende Weise um das Selbst- und das Fremdbild von Frauen. Über den Unterhaltungsaspekt hinaus hat dieses Video auch noch Substanz, die vergleichbaren TV-Produktionen in der Regel fehlt.

Markenvideos als Trendsetter?

Schon heute ist abzusehen, dass solche Art des Video-Marketings zu einer ernsthaften Konkurrenz für einige TV-Redaktionen werden wird. Und wenn Markenvideos im Zuge des Content-Marketings den Machern so große Freiheiten (und Budgets) einräumen, wird wohl in Zukunft für viele kreative Köpfe das Fernsehen nur die zweite Wahl sein. Die Aufmerksamkeit richtet sich zunehmend auf das Internet, denn hier wird entschieden, was Zuschauer sehen wollen und was nicht. So manchem ist es ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet Unternehmen im weltweiten Netz den Ton angeben und Trends setzen. Das ist verständlich, doch wenn Firmen unter dem eigenen Namen gute Filme veröffentlichen, ist mir das lieber, als verschämte und versteckte Marken- oder Produktplazierungen in diversen TV-Produktionen. Und außerdem: Ist es nicht wunderbar, wenn Unternehmensgewinne in kreative und phantasievolle Videos investiert werden?

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